Circular Economy - Politik im Gespräch mit der ostwestfälisch-lippischen Wirtschaft


23.11.21. Zum Thema “Circular Economy als Modell einer zukunftsfähigen und klimaneutralen Wirtschaft” sind regionale Landtags- und Bundestagsabgeordnete in einen ersten Dialog mit drei OWL Unternehmen getreten. Am Ende des Austauschs standen konkrete Wünsche und Erwartungen der Unternehmensvertreter an die Politik, u.a. dass Rahmenbedingungen mindestens EU-weit und praxisnah gestaltet werden sollten!



Am 23.11.2021 waren Landtags- und Bundestagsabgeordnete aus Ostwestfalen-Lippe im Rahmen der Initiative CirQuality OWL eingeladen, einen Einblick in konkrete Circular Economy Ansätze in Unternehmen zu gewinnen. Drei regionale Unternehmen stellten vor, wie sie sich engagiert und sehr erfolgreich auf den Weg gemacht haben, um Stoffströme und Produkte in Kreisläufe zu bringen. Das Gespräch war der Auftakt für einen Dialog zwischen Wirtschaft und Politik, der die Schaffung von transformativen Allianzen unterstützen soll.

Die Unternehmensgruppe Weidmüller aus Detmold verfügt über Produktionsstätten, Vertriebsgesellschaften und Vertretungen in mehr als 80 Ländern mit rund 5.000 Mitarbeitern. Gemeinsam mit ihren Kunden gestaltet das Familienunternehmen den digitalen Wandel - mit Produkten, Lösungen und Dienstleistungen für die Smart Industrial Connectivity und das Industrial Internet of Things.



Mark Edler, Vice President Global Environment, Health, Safety bei der Weidmueller Interface GmbH & Co. KG und Dr. Eberhard Niggemann, Leiter der Weidmüller Akademie und Sustainability Officer aus Detmold zeigten am Bespiel von Metallbändern bei der Produktion von Reihenklemmen auf, wie das Unternehmen Stoffströme in den Kreislauf gebracht hat. Motivation war, Kosten zu reduzieren und eine höhere Rohstoffeffizienz durch Neuverwendung zu erzielen und damit gleichzeitig einen Beitrag zur Klimaneutralität zu leisten. Dafür wurde die Anzahl der Bandvarianten reduziert und die Prozesse vereinheitlicht und kreislauffähig gestaltet. Auf Grundlage dieser erfolgreichen Ergebnisse gibt es erste Überlegungen, weiter zu denken und ganze Produktkreisläufe über alle Lebensphasen hinweg zu schließen.

„Wir machen die Welt mit gesunden und nachhaltigen Bodenlösungen einfacher und lebenswerter“. Für diesen Anspruch steht das Familienunternehmen Windmöller an den drei Standorten Augustdorf, Detmold und Bad Oeynhausen mit über 500 Mitgliedern in über 20 Berufen und acht Ausbildungsgängen seit über 70 Jahren in dritter Generation. Mit einem Umsatz von jährlich über 160 Mio.€ liefert Windmöller innovative Bodenbeläge, hocheffiziente Akustiksysteme und intelligente Holzwerkstofflösungen weltweit in über 70 Ländern.



Annika Windmöller, Leitung Unternehmenskommunikation & Dr. Thomas Hohberg, Vertriebsleiter OEM / Bodensysteme belegten eindrucksvoll, dass mehr als 50 % des Umsatzes mit den PU-Unterlagsmatten sowie mit den PURLINE Bioböden erzielt werden. Deren Grundmaterialien bestehen aus überwiegend nachwachsenden Rohstoffen und natürlichen Füllstoffen. Natürliche Öle wie Raps- oder Rizinusöl ersetzen üblicherweise genutzte petrochemische Polyole. Auf den Zusatz von Chlor, Weichmachern und Lösemitteln wird komplett verzichtet. Der Boden ist seit 2018 nach dem international anerkannten Standard Cradle to Cradle Silber zertifiziert, das u.a. die Kreislauffähigkeit von Produkten bescheinigt. Eine C2C Zertifizierung basiert auf Einzelbewertungen in den folgenden 5 Bereichen:

  • Materialgesundheit, inklusive Fertigungsverfahren und Hilfsstoffe
  • Kreislauffähigkeit
  • Einsatz von erneuerbaren Energien
  • verantwortungsvoller Umgang mit Wasser und
  • soziale Gerechtigkeit

Die ZF Friedrichshafen AG ist der 4. größte Automobilzulieferer der Welt und liefert Systeme für die Mobilität von Pkw, Nutzfahrzeugen und Industrietechnik. Ein Schwerpunkt der Weiterentwicklung der ZF-Systeme ist die digitale Vernetzung und Automatisierung. ZF ist mit 160.000 Mitarbeitern an rund 240 Standorten in 41 Ländern vertreten. Das Werk am Standort Bielefeld beschäftigt 250 Mitarbeiter und hat sich seit 1963 auf die Aufarbeitung von Antriebsstrangmodulen für den Aftermarkt in Europa spezialisiert.



Jörg Witthöft, Senior Manager bei der ZF Friedrichshafen AG am Standort Bielefeld berichtete über die kontinuierliche Entwicklung der Zertifizierung von gleich mehreren Produkten. Seit 2017 wurde damit begonnen, Druckplatten, Kupplungsscheiben und Drehmomentwandler nach Cradle to Cradle zu zertifizieren. Weitere Produkte sollen folgen. ZF Friedrichshafen ist weltweit das erste Unternehmen aus der Automobilbranche, das ein Produkt mit elektronischen Komponenten nach dem C2C Standard zertifiziert hat.

Reinhold Rünker, MWIDE NRW, stellte Ansätze des Landes NRW zur Circular Economy vor. Er betonte noch einmal, dass Circular Economy in Deutschland häufig mit Kreislaufwirtschaft übersetzt und auf das Management der Abfallströme reduziert wird. Als Zirkuläre Wertschöpfung greift es aber auch in das Design, die Werkstoffauswahl sowie den Produktionsprozess ein und verändert schließlich auch die Geschäftsmodelle. Die Kreislaufführung müsse entlang der gesamten Wertschöpfungskette entwickelt werden. Ziel sei es, ökonomischen Wohlstand vom Rohstoffverbrauch zu entkoppeln.



Produkt- und Stoffkreisläufe nach Circular Economy Ansätzen zu gestalten, ist in der Praxis noch kein Selbstläufer und stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. Besonders schwierig ist z.B. die Kreislaufführung von langlebigen Produkten, da nicht absehbar ist, ob erlaubte Inhaltsstoffe von heute nicht als Schadstoffe in 10-30 Jahren eingestuft werden. Weiterhin gibt es viele gesetzliche Regelungen, die Kreisläufe aktuell eher behindern und ausbremsen als fördern, z.B. unzureichende Müllvermeidungsstrategien, die immer noch zu einem hohen Verlust von Wertstoffen führen oder fehlende Anreizsysteme zur Erstellung von CO2 reduzierten Produkten.

Folgende Wünsche wurden an die Politik formuliert:

  • Die Rahmenbedingungen und Gesetze für eine Circular Economy sollten praxisnah gestaltet werden. Nachhaltigkeitsaktivitäten sollten gefördert und unterstützt werden anstatt sie zu behindern.
  • Dafür sind weltweite bzw. mindestens EU einheitliche Regeln und Gesetze erforderlich.
  • Als Bewertungs- und Entscheidungskriterien sollten wissenschaftliche Fakten wie Ökobilanzen oder EPDs (Environmental Product Declaration) als Grundlage genommen werden. Die Festlegung von Recyclingquoten ist kein zwingend sinnvoller Maßstab.
  • Die Herstellung von CO2 reduzierten Produkten sollte gefördert werden, ebenso die Aufarbeitung von Produkten (versus Neuprodukte) sowie die Schaffung von Wertstoffen.
  • Gleichzeitig sollte es Auflagen zur Verhinderung von Abfällen und Vorgaben zur Reduzierung der produktspezifischen CO2 Bilanz geben.
  • Die Transparenz bezüglich einer Klimaneutralität sollte erhöht werden. Aktuell werden Produkte und Dienstleistungen als klimaneutral beworben, die durch CO2-Kompensationsmaßnahmen (Green Buying) klimaneutral „gerechnet“ wurden. Zukünftig sollten Kompensationen transparent und separat ausgewiesen werden. Dies ist notwendig, um tatsächliche Verbesserungen in Prozessen, Geschäftsmodellen usw. klarer sichtbar und somit attraktiver zu machen.
  • Die Übergänge vom Abfall- zum Produktrecht (REACH, ROHS usw.) sollten überarbeitet und praxisnäher gestaltet werden.
  • Sortier- und Recyclingtechnologien sollten weiterentwickelt werden.
  • Mit ihrem Beschaffungsvolumen von 300 - 500 Milliarden Euro kann die öffentliche Hand in Deutschland auf der Nachfragerseite eine sehr große Lenkungswirkung hin zu kreislauffähigen Produkten und Materialien erzielen.

Dieser Dialog zwischen Politik und ostwestfälisch-lippischer Wirtschaft hat seinen Anfang gemacht und soll weitergeführt werden, denn uns interessiert:

  • Wie Vertreterinnen und Vertreter der Politik im Rahmen ihrer politischen Funktionen den Prozess zu einer Circular Economy in Ostwestfalen-Lippe unterstützen können?
  • Wie Allianzen zwischen Politik & Wirtschaft aussehen können, um die drängenden ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu meistern?

Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

  1. Wibke Brems, MdL, GRÜNE, Gütersloh
  2. Karin Bültmann, GRÜNE, Wirtschaft und Landesentwicklung, Düsseldorf
  3. Georg Fortmeier, MdL, SPD, Gütersloh-Bielefeld
  4. Christina Kampmann, MdL, SPD, Bielefeld
  5. Patrick Bockwinkel, wissenschaftlicher Mitarbeiter von Ellen Stock, MdL, SPD, Lippe
  6. Bernhard Hoppe-Biermeyer, MdL, CDU, Paderborn
  7. André Kuper, MdL, CDU, Gütersloh
  8. Bianca Winkelmann, MdL, CDU, Minden-Lübbecke
  9. Marc Lürbke, MdL, FDP, Paderborn,
  10. Kerstin Vieregge, MdB, CDU, Lippe
  11. Reinhold Rünker, Abteilung III – Wirtschaftspolitik, Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (MWIDE) des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
  12. Dr. Ole Wintermann, Agenda Nachhaltige Transformation, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh
  13. Mark Edler & Dr. Eberhard Niggemann, Weidmüller, Detmold
  14. Annika Windmöller & Dr. Thomas Hohberg, Windmöller GmbH, Detmold
  15. Jörg Witthöft, ZF Friedrichshafen AG, Standort Bielefeld

Eingeladen hatten im Rahmen von CirQuality OWL Friederike David vom Verein Deutscher Ingenieure VDI Ostwestfalen-Lippe e.V., Almut Rademacher und Dr. Angelika Kipp von owl maschinenbau e.V. sowie Ulrike Künnemann von InnoZent OWL e.V.